Dieses Blog durchsuchen

Sonntag, 28. März 2010

Angst essen Seele auf

Hiermit nominiere ich den Journalismus für den Titel "Verlogenste Branche überhaupt". Gut, es gibt Waffenhersteller, Banken und die Politik im Allgemeinen, die konkurrieren können. Aber reden wir doch einmal offen über den Journalismus.

Gibt es ein anderes Berufsfeld, in dem Bewerber einen so gnadenlosen persönlichen Kampf um Aufträge führen, sich gegenseitig bis zum Existenzminimum unterbieten und gleichzeitig ungeniert über andere Branchen herziehen, in denen ähnliche Methoden angewandt werden?

Im Journalismus ist es mittlerweile mehr als üblich, grundsätzlich nur noch Praktikanten neu aufzunehmen. Die sollen aber bitteschön bereits über ein abgeschlossenes Studium und Berufserfahrung verfügen. Und am besten kostenlos für mindestens drei Monate zur Verfügung stehen. Um dann möglicherweise einfach gegen den nächsten Gratis-Schreiberling ausgetauscht zu werden.

Wer nicht mit 30 aufwachen möchte um festzustellen, in der Endlos-Praktikums-Schleife festzusitzen, der überlegt sich vielleicht eine Karriere als freier Journalist. Dumm nur, dass die vorgeschlagene Bezahlung diverser Journalistenvertretungen an einen Witz grenzt, über den Auftraggeber nichtmal müde lächeln. Um überhaupt konkurrenzfähig zu sein als freier Autor, scheint sich ein Wert um 3 Cent pro Wort eingependelt zu haben - zumindest als Anfänger. Für einen (längeren) Artikel mit etwa 600 Wörtern sind das ganze 18 Euro. Verständlich, dass es so bis zum Geld für eine Sozial-, Kranken- und Rentenversicherung ein weiter Weg ist.

Dazu kommt die unfassbare Dreistigkeit zahlloser Verlage. Zum Beispiel der deutsche Jahreszeiten-Verlag, der grade die Idee publik gemacht hat, 70 Redakteure rauszuwerfen. Bleiben dürfen nur die Leiter, die künftig mit Freien zusammenarbeiten werden. Die Frechheit schlechthin: Angeblich wurde zahlreichen gekündigten Redakteuren "großzügig" angeboten, dem Unternehmen doch als Freier erhalten bleiben sein zu können. Quasi die gleiche Arbeit, nur schlechter versichert und bezahlt. Na herzlichen Dank!

Das Schlimmste an diesem Dilemma: Die Medien berichten scheinheilig immer wieder über schlechte Arbeitsverträge, setzen diese jedoch mindestens ebenso skrupellos und - so wage ich zu behaupten - noch viel häufiger ein als die meisten anderen Branchen. Dass in fast jeder Redaktion zahlreiche "Freie" sitzen, die jedoch einen festen Tagesablauf haben und ortsgebunden sind, also in der Redaktion ihre Arbeit verrichten, wird unter den Teppich gekehrt. Oder haben Sie schon einmal eine Aufdecker-Story in einem großen Magazin oder einer Tageszeitung über die an Betrug grenzenden Arbeitsverträge im Journalismus gelesen? Ich auch nicht...

Ich verstehe, dass Verlage, Fernseh- und Radiosender von der Wirtschaftskrise möglicherweise mehr getroffen wurden als andere Gewerbe, aber das kann und darf keine Entschuldigung sein! Ich möchte nicht dazu gezwungen werden, mich mit dem Schreiben von PR-Texten über Wasser zu halten. Ich möchte nicht erpressbar werden für jeden potenziellen Arbeitgeber, der genau weiß, wie viele arbeitslose Journalisten da draußen gerade herumlaufen. Ich möchte, dass meine Arbeit - sorgfältige Recherche, Faktenwissen, Stil und Ausdrucksfähigkeit - gewürdigt und fair bezahlt wird. Ist das ausgerechnet im Prestige- und Angeberumfeld Journalismus unmöglich?

Um Antwort wird gebeten.

(PS weil aktuell: "Der Einstieg in die Medienbranche gestaltet sich für junge Journalisten und andere Kreative schwierig und wenig lukrativ. Wie eine britische Erhebung ans Tageslicht bringt, startet fast die Hälfte mit unbezahlten Jobs in das Berufsleben." -> nachzulesen hier)

2 Kommentare:

  1. Ich kann mich deiner Meinung absolut anschließen muss aber noch hinzufügen, dass es in den meisten anderen Branchen (Gastronomie, Einzelhandel...) auch nicht besser aussieht. Heutzutage ist der Kunde natürlich immer noch "König" aber der Mitarbeiter nichts. Was mich aber interessiert ist, warum es diesen geschichtlichen Verlauf gibt, in der es für die Mittelschicht und den unteren Einkommensschichten von Jahr zu Jahr immer härter wird.
    Reiche werden reicher, Arme ärmer.
    Die Antwort und dessen Lösung ist schockierend einfach.

    Wenn du mehr erfahren willst schreib mir einfach an meine e-mail Adresse

    mario.koenig4@gmx.net

    lg mario

    AntwortenLöschen
  2. Gibt's bei PR-Agenturen und IT-Unternehmen auch.
    Als Freie/r darf man sämtliche Abgaben selber löhnen, aber fixe Zeiten (Erreichbarkeit für Presse- und Kundenanfragen etc.) und Ortsgebundenheit gibt's natürlich auch.
    Rechtlich mehr als fragwürdig, aber vielerorts Usus.

    AntwortenLöschen